Die spanische Grippe - und Ihre Nachwirkungen
Während die neurologischen Langzeit-Folgen einer Covid19-Erkrankung derzeit intensiv untersucht werden, gerät schnell in Vergessenheit, dass auch andere Infektionskrankheiten mit neurologischen Folgen assoziiert sein können.
Infektionen mit dem Influenza-Virus stehen hierbei seit der Pandemie 1918-1920, der sog. „Spanischen Grippe“, im besonderen Fokus des Interesses. So konnte zwischen 1917 und 1927, also in etwa zeitgleich mit der Spanischen Grippe, eine Häufung von Erkrankungen an der sog. Enzephalitis lethargica (auch: Europäische Schlafkrankheit) beobachtet werden.
Die Krankheit war gekennzeichnet durch hohes Fieber, geistige Verwirrung, Lethargie und eine Lähmung der Augenmuskulutur. Die Lethargie dauerte zwischen mehreren Tage bis einige Monate und gipfelten häufig in Koma und Tod infolge von Atemversagen. Unter den Überlebenden entwickelte etwa 80% eine Parkinson-ähnliche Krankheit, die sich u.a. durch Tremor, verlangsamte Bewegungen und einen masken-artiger Gesichtsausdruck auszeichnete. Die Enzephalitis lethargica ist allerdings seit den 1930er Jahren trotz wiederholter Influenza-Ausbrüche in der Zwischenzeit nicht mehr in relevanter Zahl aufgetreten, so dass ein ursächlicher Zusammenhang mit der Influenza-Erkrankung letztlich ungeklärt bleibt. Interessanterweise konnte jedoch nachgewiesen werden, dass Personen, die zum Zeitpunkt der Pandemie geboren wurden oder jung waren, ein zwei- bis dreifach höheres Risiko hatten, später an der Parkinson-Krankheit zu erkranken.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine neue Untersuchung von Noelle Cocoros und Kollegen von der Harvard Medical School in Boston. Als Grundlage dienen Daten aus dem zentralen dänischen Personenregister, in dem auch die Krankeninformationen aller Einwohner Dänemarks registriert sind. Herausgefiltert wurden allen Patienten, bei denen zwischen 2000 und 2016 eine Parkinson-Erkrankung diagnostiziert wurde. In den Daten dieser Patienten wurde anschließend für den Zeitraum 1977 bis 2016 nach der Diagnose einer Influenza-Infektion gesucht. In gleicher Weise wurde bei zufällig aus der Datenbank ausgewählten Kontroll-Personen nach Influenza-Diagnosen gesucht - wobei eine Vergleichbarkeit von Parkinson-Patienten und Kontrollgruppe in Bezug auf Alter und Geschlecht gewährleistet wurde.
Die Analyse der Daten zeigte einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer Parkinson-Erkrankung und einer mindestens zehn Jahren vor der Parkinson-Diagnose aufgetretenen Influenza-Infektion. Diese Beobachtungen legen damit einen Zusammenhang zwischen einer Influenza-Infektion und der Parkinson-Krankheit nahe. Da es sich um eine reine Assoziationssstudie handelt, kann allerdings nur das überzufällig häufige Zusammentreffen von Influenza und späterer Parkinson-Erkrankung gezeigt werden - ob die Influenza tatsächlich ursächlich an der Entstehung der Parkinson-Erkrankung beteiligt war, bleibt nach diesen Daten noch offen. Besondere Relevanz erhält dieses Thema aber durch die gegenwärtige Corona-Pandemie: auch hier wird in Fachkreisen diskutiert, dass eine Corona-Infektion, zum Beispiel durch Schädigung der Riechnerven, einen Prozess anstoßen kann, der schließlich zu einem weitergehenden Untergang von Nervenzellen führt. Weitere große Studien werden also dringend benötigt, um den Zusammenhang zwischen Virus-Infektionen und der Parkinson-Erkrankung besser zu verstehen.
Dieser Artikel erschien erstmalig im Newsletter der Parkinson-Stiftung 02/2021.